Tübinger*innen sagen Ja zur Stadtbahn

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Ein Vorkämpfer für Inklusion

Ein Vorkämpfer für Inklusion

Willi Rudolf - Ja zur Stadtbahn

Willi Rudolf

Barrierefrei mobil sein ist Lebensqualität

Diese Erfahrung musste ich – als Mensch mit körperlichen Einschränkungen – schon in meiner frühesten Kindheit machen. Im Kriegswinter 1944/45 musste ich als Kleinkind von meiner Mutter zum Facharzt getragen werden, denn ÖPNV gab es keinen. Der Marsch dauerte fünf Stunden für den einfachen Weg von 28 Kilometern.
In die Schule konnte ich nicht „gehen“, sondern musste mit einem Bollerwagen gefahren werden. Auch der „Gang“ zur Arbeit war nicht möglich. Spezialautos waren noch nicht entwickelt, beim Linienverkehr gab es keine Omnibusse oder Haltestellen, die in irgendeiner Form behinderten­gerecht und barrierefrei gewesen wären, und auch die Bahn war auf eingeschränkte Menschen nicht eingerichtet. Folglich wurde ich noch vor 50 Jahren für den „Transport“ von der Bahnhofspolizei in den Gepäckwagen gehoben ­– natürlich ohne Fenster.

Umso mehr freue ich mich über die technischen Lösungen der heutigen Zeit: Ich bin glücklich, wenn ich mich beispielsweise in Berlin oder Karlsruhe ohne Anmeldung oder fremde Hilfe auf eine barrierefreie Stadtbahn verlassen kann. Nur hier im Kreis und in der Stadt Tübingen ist es noch nicht soweit. Zu den Kliniken zu kommen, ist mühselig und umständlich!
Durch meine Erfahrungen geprägt, beobachte ich auch die Nutzung des ÖPNV durch andere Zielgruppen aufmerksam: Eltern mit Kleinkindern mit und ohne Kinderwagen, Senioren mit und ohne Gehhilfe und die stark zunehmende Gruppe der Radelnden, für die Barrierefreiheit natürlich ebenfalls von Vorteil ist. Und die zunehmende Bevölkerungsdichte steigert die Nachfrage nach Mobilität immer weiter – ein Ende ist nicht abzusehen. 

Auch im Alter mobil sein

Die Entwicklung der Demografie zeigt deutlich, dass die Menschheit nicht nur älter wird, sondern auch die absolute Zahl der alten und hochaltrigen Menschen immer weiter zunimmt. Wie zahlreiche Umfragen zeigen, möchten die meisten möglichst lange in ihrer vertrauen Umgebung bleiben und nicht in eine Einrichtung für Ältere umziehen. Eine große Zahl dieser Menschen kann aber nicht mehr Rad fahren und ist den Anforderungen des Autos nicht mehr gewachsen: Also ist sie auf barrierefreie und möglichst umsteigefreie Mobilität im ÖPNV angewiesen. Deutlich wird dies am konkreten Beispiel: Eine Person mit körperlichen Einschränkungen und Rollator möchte mit ihrer vollen Einkaufstasche den ÖPNV nutzen. Besonders schwierig und belastend, ja sogar gefährlich, ist dann das Umsteigen. Umso mehr, wenn man auch noch von der Bahn in den Bus wechseln muss und umgekehrt. Deshalb ist ein großes Netz so wichtig, wie es für die RegioStadtbahn geplant ist. Deshalb sind so viele umsteigefreie Verbindungen wie möglich eine wichtige politische Forderung! Genau deshalb müssen wir jetzt die Weichen stellen für die moderne und barrierefreie Regionalstadtbahn Neckar-Alb – natürlich mit der Tübinger Innenstadtstrecke: in die Altstadt, zur Universität, hoch zu den Kliniken und weiter bis WHO.

Der Aufwand lohnt sich

Als „alter Kommunalpolitiker“ und ehemaliger Kreisbehindertenbeauftragter ist mir der ÖPNV immer noch ein Anliegen, und ich beobachte die Entwicklungen mit größtem Interesse. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass die Entscheidungen bis zur Verwirklichung oft langwierig sind, und auch der Bau braucht seine Zeit. Wenn ich nur daran denke, wie froh und dankbar sind wir an unserer Ammertalbahn, an der HZL (jetzt SWEG) und an der Schienenverbindung in unsere Landeshauptstadt Stuttgart. 

Unsere Gesellschaft entwickelt sich immer schneller, und die Entscheidungskriterien für Politiker werden komplizierter: Flächenverbrauch, Zeittakt, Antriebssysteme, Umweltverträglichkeit, Klimaschutz. Die RegioStadtbahn mit ihren Stadtstrecken in Tübingen, Reutlingen, Pfullingen und in Albstadt ist eine sichere Investition in die Zukunft: Nur sie vermag das Bedürfnis nach Mobilität gut genug zu befriedigen: Denn nur sie kann so viele Menschen in kürzester Zeit transportieren, wie unsere wachsende Region das erfordert. Die positiven Konsequenzen und Effekte wirken sich über Jahrzehnte und auf die uns nachfolgenden Generationen aus: Sie werden uns dankbar sein!